Eine Bürgerin der Stadt Salzgitter hat im April angeregt, dass sich der Rat mit dem transatlantischen Handelsabkommen TTIP befasst.
Der Oberbürgermeister hat daraufhin den Fraktionen das Positionspapier des Präsidiums des Deutschen Städtetages zukommen lassen, in dem aufgezeigt wird, dass die Kommunen direkt von TTIP betroffen sein können.
Die grüne Ratsfraktion hat die Anregung der Bürgerin aufgegriffen und für die Ratssitzung am 27.05.2015 eine Resolution eingebracht, in der die Kommission der EU, das europäische Parlament, die Bundesregierung und die niedersächsische Landesregierung aufgefordert werden sich für die kommunalen Belange bei den Verhandlungen zu TTIP einzusetzen.
Leider war es uns nicht möglich, die Mehrheit des Rates davon zu überzeugen, dass, wenn TTIP beschlossen wird, die Selbstverwaltung der Kommunen in Gefahr ist. SPD- und CDU-Fraktionen waren der Meinung, dass TTIP kein kommunales Thema sei. Weiterhin sei das Positionspapier des Städtetages ausreichend und der Städtetag werde die Interessen der Kommunen ausreichend vertreten. Trotz der von den Linken beantragten geheimen Abstimmung stimmtem nur 11 Ratmitglieder für unsere Resolution.
RESOLUTION in Sachen Freihandelsabkommen.
Kommunale Daseinsvorsorge nicht durch Freihandelsabkommen gefährden.
Der Rat der Stadt Salzgitter begrüßt das gemeinsame Positionspapier der kommunalen Spitzenverbände und des Verbandes kommunaler Unternehmen zum internationalen Freihandelsabkommen vom 01.09.2014.
Der Rat der Stadt Salzgitter appelliert an
– die Kommission der Europäischen Union
– das Parlament der Europäischen Union
– die Bundesregierung
– die Landesregierung Niedersachsen,
sich im Zuge der Verhandlungen um das Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP), und des internationalen Dienstleistungsabkommens „Trade in Services Agreement“ (TISA), sowie auch beim bereits verhandelten Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA), uneingeschränkt für die kommunale Selbstverwaltung, den Schutz und Fortbestand der kommunalen Daseinsvorsorge und der kommunalen Kultur- und Bildungspolitik einzusetzen.
Der Rat stellt fest, dass:
- die bisherigen Verhandlungen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wurden, und dass diese Intransparenz das Misstrauen in die Verhandlungsführung der EU-Kommission erhöht hat und die demokratischen Grundsätze untergräbt,
- die geplanten Abkommen nach derzeitigem Kenntnisstand geeignet sind, die bisherige Form kommunaler Daseinsvorsorge und das Subsidiaritätsprinzip zu gefährden und negative Auswirkungen für das kommunale Handeln haben können, – bei der öffentlichen Auftragsvergabe einschließlich der Delegation von Aufgaben an kommunale Unternehmen und bei der Förderung und Unterstützung von Kultur und der Erwachsenenbildung (z.B. über Volkshochschulen) der Stadt Salzgitter,
- die geplanten Abkommen der Öffnung von Marktzugängen im Dienstleistungssektor dienen und die Organisationshoheit der Kommunen gefährden – darunter nicht liberalisierte Bereiche, wie die kommunale Wasserversorgung und -entsorgung, die Bereiche Abfall, soziale Dienstleistungen sowie die öffentlichen Dienstleistungen im Kultur und Bildungsbereich,
- durch die Verwendung von sogenannten Negativlisten die Rekommunalisierung von Dienstleistungen deutlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wird.
Die Abkommen haben somit direkte Auswirkungen auf die Stadt Salzgitter.
Der Rat fordert, dass:
- die Verhandlungen mit größtmöglicher Transparenz- und Öffentlichkeit geführt werden,
- die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge und der kommunalen Infrastruktur nicht eingeschränkt wird – auch nicht durch die Verwendung sogenannter Negativlisten, und dass Spielräume für eine Auftragsvergabe nach sozialen, ökologischen oder regionalen Kriterien nicht verschlechtert werden,
- Umwelt- und Sozialstandards und die Möglichkeiten politischer Gestaltung nicht durch Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren parallel zur bestehenden Gerichtsbarkeit gefährdet werden.
Begründung:
Seit Anfang 2013 wird zwischen der Europäischen Union und den USA verhandelt mit dem Ziel, die transatlantischen Handelsbeziehungen zu vertiefen. Das Abkommen soll nach Vertragsabschluss für alle Mitgliedsstaaten bindend sein und damit Anwendungsvorrang vor europäischen Verordnungen und Richtlinien sowie nationalem Recht haben.
Die Verhandlungen verliefen bisher sehr intransparent. Das wurde auch vom Deutschen Städtetag massiv kritisiert. Es gilt als sicher, dass Teile der kommunalen Daseinsvorsorge unter den Anwendungsbereich des Abkommens fallen.
Die Organisationsfreiheit der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge, der Bildung und Kultur, sowie ihre Möglichkeiten, die lokale Daseinsvorsorge demokratisch legitimiert zu gestalten, dürfen nicht angetastet werden. Deshalb muss gewährleistet sein, dass die Verhandlungen zu den Handelsabkommen TTIP, TISA und CETA transparent geführt werden, und dass eine Beteiligung der kommunalen Interessenvertretungen gewährleistet ist.
Einbringung Resolution durch Ratsfrau Rosemarie Hinrichs:
Meine Fraktion dankt Frau Steckhahn für ihre Anregung, dass sich der Rat der Stadt Salzgitter mit dem transatlantischen Handelsabkommen TTIP beschäftigen soll.
Wenn in den Medien von TTIP die Rede ist, wird als erstes das „Chlorhühnchen“ und die Aufhebung der Buchpreisbindung erwähnt. Von der Betroffenheit der Kommunen ist selten die Rede.
Es wird bestritten – nicht nur von Ihnen, Herr Leidecker – , dass die Kommunen das Recht haben über das Handelsabkommen zu diskutieren. Nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema wird klar, dass das TTIP-Abkommen Auswirkungen auf unsere Stadt haben kann und wir uns dazu auch äußern sollten.
Ich möchte einige Beispiele ansprechen, die unsere Stadt direkt betreffen:
Kommunen kämpfen schon jetzt mit dem immer restriktiveren Vergaberecht, das sie oberhalb bestimmter Auftragswerte zu europaweiten Ausschreibungen von Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen zwingt. Der Ausschreibungszwang engt ihre Möglichkeiten ein, Aufträge an eigene, ortsansässige oder gemeinnützige Unternehmen zu vergeben. Da meinst das billigste Angebot den Zuschlag erhält, können soziale und Umweltkriterien ins Hintertreffen geraten. Städtetag, Landkreistag und der Städte- und Gemeindebund verlangen in diesem Zusammenhang eine deutliche Anhebung der Summen, ab denen die Ausschreibung auf die USA ausgedehnt werden muss.
Es wird angenommen, dass das Handelsabkommen mit Kanada CETA als Vorbild für das TTIP-Abkommen dient. Im CETA-Abkommen sind zwar ökologische Standards in Ausschreibungen teilweise möglich, aber keine sozialen Standards wie zum Beispiel die Einhaltung von Tarifverträgen.
Eine TTIP-Verpflichtungsliste beschreibt die Felder, in denen privaten Dienstleistern und Unternehmen aus den USA der erforderliche Marktzugang erlaubt werden muss. Die zentralen kommunalen Versorgungsaufgaben wie Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung fallen darunter.
Auch Dienstleistungen im Kultur- und Bildungsbereich sind von der Liste betroffen. So könnten Anbieter aus den USA von IT-Schulungen gegen EDV-Kurse der heimischen Volkshochschule angehen. Da Kultur und Bildung meist nicht kostendeckend arbeiten und auf kommunale Unterstützung angewiesen sind, könnten Konkurrenzklagen von Anbietern aus den USA vor internationalen Schiedsgerichten möglich werden. Diese Schiedsgerichte verhandeln nichtöffentlich und ihre Entscheidungen stehen über nationalem und EU-Recht und können nicht angefochten werden. Die Aussicht auf hohe Strafen hat eine abschreckende Wirkung. So hat die Androhung einer Klage von Vattenfall gegen Umweltauflagen der Stadt Hamburg zu einem Nachgeben der Stadt geführt.
Vorgesehen ist weiterhin, dass einmal privatisierte Betriebe nicht mehr rekommunalisiert werden können. Der Stadt Salzgitter wäre es in Zukunft niemals mehr möglich die WEVG oder das Krankenhaus zurückzukaufen.
Die Diskussionen über TTIP können bisher nur im Konjunktiv geführt werden, bei allen Einwänden kann es bisher nur heißen, es könne diese oder jene Auswirkungen haben. Der Grund dafür ist, dass alle Verhandlungen im Geheimen stattfinden und nur hin wieder etwas durchsickert. Darum unsere Forderung, dass die Verhandlungen transparent und unter Mitwirkung der Betroffenen stattfinden.
Die Wirksamkeit von Resolutionen wird immer wieder angezweifelt. In diesem Fall sehen wir diese Resolution vor allem als Rückenstärkung für die kommunalen Interessenvertretungen und Aufforderung sich offensiv für die Rechte der Kommunen bei den Verhandlungen des Handelsabkommens einzusetzen